Klingende (Seelen-)Landschaften

 

Die Russische Klaviernacht von Albert-Konzerten und Studium generale im Freiburger Audimax.

 

Sechs quicklebendige und zwei bereits verstorbene Pianisten gaben mit ihrem intensiven Spiel Einblicke in klingende (Seelen-)Landschaften russischer Komponisten bei der von den Albert-Konzerten und Studium generale veranstalteten Russischen Klaviernacht. Ergänzt wurde die musikalische Nacht durch literarische Assoziationen, die Urs Heftrich im Audimax der Freiburger Universität vortrug.

 

Landschaft als Sinnbild für Gemütszustände – ein in allen Kunstformen bemühter Topos. Peter Tschaikowskys "Dumka. Scène rustique russe" op. 59 in c-Moll, gespielt von Jura Margulis, knüpfte daran an und wirkte gleichzeitig wie ein inneres Stimmungsbild und äußerlich erlebbare Landschaft. Mili Balakirews "Islamey" ist eine wilde, äußerst anspruchsvolle und fantasiereiche kompositorische Auseinandersetzung mit der Region Kaukasus, in der verschiedene kulturelle Einflüsse aufeinander treffen. Kristina Millers Darbietung war technisch souverän und interpretatorisch reich.

 

Bei den Transkriptionen überzeugten die kleineren Formen mehr. Mariia Iudenko zauberte verträumte Romantik mit der "Lerche" von Michail Glinka (in einer Bearbeitung von Mikhail Pletnev, der demnächst in Freiburg zu hören sein wird). Miller nahm das Publikum mit ihrer charmant und raffiniert gespielten Polka op. 303 nach Franz Behr von Sergej Rachmaninow für sich ein.

 

Sergej Prokofjews Sonate Nr. 7 B-Dur op. 83 bot Ekaterina Danilova trocken und unaufgeregt, im Allegro inquieto vereinte sie die vordergründig widersprüchlichen stark rhythmisierten und lyrischen Anteile – ein Spagat, der Danilova überzeugend gelang. Der zweite Satz ist klingende Zerrissenheit zwischen bejahendem Walzer und fragendem Blick auf die Welt, die ihren intensivsten Moment in der eindringlichen Halbtonrepetition vor der Wiederholung des Anfangsthemas hatte.

 

Igor Kamenz spielte einen Tanz von Komitas (Vardapet), eine oktaviert geführte volkstümliche Melodie. Dicht und fesselnd, gleichzeitig schalkhaft und traurig ließ Kamenz den Tanz klingen. Mitunter nicht ganz unisono gespielte Oktaven erzeugten einen minimal räumlichen Klangeindruck, der die Strenge der Einstimmigkeit auflockerte. Prokofjews "Quatre pieces" op. 4 fügten sich dann bei Michael Poliatskin in den Seelen-Landschaftstopos ein, in dem die kompositorisch eingefangenen und künstlerisch überhöhten Gefühlszustände hörend erlebbar wurden.

 

Als museales Schmankerl präsentierte Hans-W. Schmitz mit dem Welte-Wiedergabegerät auf gelochten Mignon-Papierrollen konserviertes Klavierspiel von Alexander Skrjabin (Aufnahme von 1910) und Vladimir Horowitz (aufgenommen 1926). Die 1904 von der Freiburger Firma Welte und Söhne erfundene Maschine nutzt keinen Lautsprecher als Schallerzeuger, sondern bedient selbst die Tasten des Flügels, auf dem den Abend über die leibhaftigen Pianisten gespielt hatten. Einbußen bei der Dynamik gingen zulasten der technischen Möglichkeiten, erläuterte Schmitz. Dennoch entstand bei diesem "Fenster in der Zeit" ein lebendiger Eindruck des Spiels von Skrjabin und Horowitz.

 

Sarah Nöltner (30.01.2018)

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